nach einem Jahr...

hatten wir Besetzer die Schnauze voll vom Leben ohne Strum und Wasser. Wir bereiteten eine Dokumentationsmappe vor, mit Fotos aller Zimmer, die zu diesem Zweck extra herausgeputzt wurden. Das folgende Bild zeigt das Zimmer von Sammy Hecke vor und das nächste das Zimmer nach dem herausputzen...

 

 

vor dem rausputzen...
...und danach

Die vier folgenden Bilder zeigen die Größe der Anforderung...

Zu dieser Mappe wurde eine Kurzdokumentation erstellt, die quer durch die politische Landschaft der Stadt verschickt wurde. Hier ist sie im Original-Wortlaut:

KURZDOKUMENTATION

 

Schon seit Jahren wird in Leverkusen von Bürgern und Politikern der Stadt der Versuch unternommen, durch Aktionen in der Öffentlichkeit und durch Eingaben an den Rat der Stadt Leverkusen auf die Problematik der Wohnungsnot hinzuweisen, um eine Veränderung der Situation zu erwirken.

 

Da seitens der Stadt aber keinerlei Schritte in diese Richtung unternommen wurden, entschlossen sich einige, von diesem Problem persönlich Betroffene, ein Haus zu besetzen. Da die Diskrepanz zwischen leerstehendem, zugemauerten Wohnraum und Wohnungssuchenden am deutlichsten im Stadtteil Alt-Wiesdorf in Erscheinung tritt, wurde als zu besetzendes Objekt das Haus Niederfeldstrasse 5 gewählt, das zu diesem Zeitpunkt noch von Mietparteien bewohnt wurde, denen vom Eigentümer, der Bayer AG, zum 27.4.81 gekündigt worden war.

 

Dadurch das die bestehende Wohnungsnot in Deutschland durch erfolgreiche Hausbesetzungen in anderen Städten für die Öffentlichkeit transparenter gemacht wurde, nahm auch hier in Leverkusen die Angst der Verantwortlichen zu, sich dem Problem nicht länger verschließen-zu können.

 

Ungeachtet der Tatsachen, daß es zu dieser Zeit in Leverkusen 5000 registrierte Wohnungssuchende gab und Leverkusen zu einer Stadt mit erhöhtem Wohnraumbedarf erklärt worden war, verfolgten die Verantwortlichen bis dahin die völlig an dem Problem vorbeizielende Strategie, Häuser zuzumauern und dadurch unbewohnbar zu machen. Daraufhin hätte die logische Konsequenz sein müssen, auf eine Lösung des Problems hinzuarbeiten, indem man den zwar zugemauerten, aber noch vorhandenen Wohnraum wieder bewohnbar macht. Stattdessen entschlossen sich die Verantwortlichen, ihre neue Strategie an der menschlichen Eigenschaft zu orientieren, Veränderungen der Umwelt sehr schnell als gegeben anzunehmen und sich daran zu gewöhnen, und so am Beispiel des Hauses Niederfeldstrasse 5 sofort nach dem Auszug der letzten Mietpartei mit dem Abriss zu beginnen.

 

Um nicht länger hilflos und ohnmächtig der systematischen Zerstörung eines ganzen gewachsenen Stadtteils zusehen zu müssen und um unsere. Wut und Verzweiflung über den völlig sinnlosen Abbruch dieses in keiner Weise baufälligen Hauses auszudrücken, versuchten wir, leider erfolglos, die Abrissarbeiten zu behindern. Ein mit der Situation unangemessener Härte geführter Polizeieinsatz, der unverständlicherweise mit dem Einsatz der chemischen Keule endete, sorgte dafür, des die Abrissarbeiten schnell, reibungslos und ohne weitere öffentliche Beteiligung vonstatten gehen kannte.

 

Aufgrund dieser bestürzenden Entwicklung, die deutlich machte, wie vehement die Stadt und ihre ausführenden Organe Interessen eines Wirtschaftsgiganten auf Kosten der Bürger unterstützt, entschloss sich eine spontan einberufene Vollversammlung des Besetzerrates noch in der selben Nacht das gegenüberliegende Haus, die Niederfeldstrasse 8,zu besetzen.

 

An den beiden darauffolgenden Tagen wurden alle offiziellen Stellen wie die Stadt Leverkusen, der Hauseigentümer Landschaftsverband Rheinland (LVR), die Polizei, die Bürgerinitiative „Wohnlich Wiesdorf“ von dieser Aktion informiert und bei der EVL der Antrag gestellt, das Haus wieder an das Strom- und Wasserversorgungsnetz der Stadt Leverkusen anzuschließen.

 

Um sinnvolle und effektive Arbeit bei der Instandsetzung des Hauses, daß immerhin 6 Jahre leerstand, möglich zu machen, bildete die Besetzergemeinschaft zwei große Arbeitsgruppen, wobei die „Renoviergruppe“ die Instandsetzung des Hauses übernahm und die „Öffentlichkeitsgruppe“ für die Außenkontakte der Besetzer, die gesamte Organisation, sowie für aufklärende Öffentlichkeitsarbeit in der Leverkusener Bevölkerung zuständig war. Innerhalb von einer Woche stellte sich heraus, daß der LVR ein Bemühen um Verständigung ablehnte, daß nicht nur die öffentliche Meinung sondern auch die Meinungen innerhalb der Ratsfraktionen über diese Hausbesetzung sehr gespalten war und daß das Haus als Wohnhaus für 10 Mitglieder der Besetzergemeinschaft genutzt werden sollte.

 

Um dies öffentlich zu dokumentieren, wurde eine Woche nach der Besetzung ein „Tag der offenen Tür“ veranstaltet, bei dem neben aktuellen Informationen über den Stand der Besetzung auch die schon fertiggestellte Musteretage zu besichtigen war.

 

Der kompromißlose Einsatz an absoluten persönlichem Engagement, den zielgerichtete politische Arbeit fordert, zeitigte auch bei unserer Hausbesetzung Folgen.

 

Dem physischen und psychischen Dauerstress, den diese Hausbesetzung bedingt durch die totale Unklarheit der Situation, dem Fehlen von Strom und Wasser, das Aufrechterhalten einer Nachtwache, um bei einer plötzlichen und unerwarteten Hausräumung gewappnet zu sein, mit sich brachte, waren viele der Besetzer nicht gewachsen. Dazu kam noch, daß sich die 80 Besetzer nur in den 3 Räumen der obersten Etage zum Schlafen aufhalten konnten, da das Erdgeschoß zu dieser Zeit noch zugemauert war, und aus Sicherheitsgründen so belassen wurde, die 1. Etage, wie schon erwähnt, zur Musteretage renoviert wurde und die Zimmer der 2. Etage als Versammlungsräume dienten.

 

Die eine Konsequenz dieser notwendigen Strukturierung war, das es, bedingt durch die Raumknappheit kein oder kaum noch Privatleben für die Besetzer gab und das auf der anderen Seite durch den immensen Arbeitsanfall das Leben notwendigerweise nur nach auf die Belange der Besetzung, also auf „das Haus„ ausgerichtet war, und so keine Zeit mehr für zwischenmenschliche Beziehungen übrigblieb.

 

Als nach 3 Wochen endlich ein Gesprächstermin mit Herrn Justen und 3 weiteren Vertretern von der zuständigen Behörde des LVR und Vertretern der Besetzergemeinschaft stattfand, war bereits die Hälfte der ursprünglichen Besetzergemeinschaft, die diesen Stress „rund um die Uhr“ einfach nicht mehr verkraften konnten, abgewandert.

 

Das Gespräch mit Herrn Justen machte deutlich, das der LVR in keiner Weise bereit zu Verhandlungen mit uns war. Dieses frustrierende Gesprächsergebnis nahm 20 weiteren Besetzern völlig den Mut weiterzumachen und überhaupt noch einen Sinn und ein Ziel in dieser politischen Arbeit zu sehen.

Trotz dieser Entwicklung schafften es die noch verbliebenen 20 Besetzer im Anschluß an die große Demonstration am 2.5.81 gegen Wohnungsnot und einer Aktion am 4.5. 81,in der dem Oberbürgermeister auf‘ einer Stadtratssitzung ein Fensterrahmen überreicht wurde, um ihm einen „besseren Durchblick“ hinsichtlich der Wohnungspolitik in Leverkusen zu verschaffen, am 20.6.81 ein Altstadtstraßenfest zu organisieren, das den persönlichen Kontakt zwischen den Besetzern des Hauses Niederfeldstrasse 8 und der Wiesdorfer Bevölkerung positiv fördern sollte.

 

Gleichzeitig war dieses Fest für lange Zeit Schlußpunkt für Aktionen der Besetzergemeinschaft in der Öffentlichkeit.

 

Dieser Rückzug in die Innerlichkeit hatte zum Ziel, den 10 Bewohnern, den Aufbau und die Festigung der zwischenmenschlichen Beziehungen untereinander zu ermöglichen, um aus einer bis dahin reinen Arbeits- und Zweckgemeinschaft endlich eine Wohngemeinschaft zu schaffen. Die schnel1ste Fertigstellung der Zimmer wurde deshalb neben den Vorbereitungen für einen Winter ohne Strom und Wasser (Entrümpelungen, Verarbeitung des Abfallholzes zu Heizgut, Abdichtung der Fenster und Türen) als absolute Priorität gesetzt.

 

 

Entrümpelungsaktion: Das Küchenfenster fehlt und ist verbrettert.

Im Herbst 1981 entschlossen wir uns nach langen Auseinandersetzungen, die Außenfassade in einem gutbürgerlichen Stil neu zu gestalten, um den ursprünglichen Charakter dieser Bauepoche wieder zur Geltung zu bringen und um ein nachahmenswertes Beispiel für die engagierte Sanierung und Verschönerung auch der anderen Häuser dieses von Verwahrlosung und Abriss bedrohten Stadtteils zu liefern.

 

Das Aufstellen des für die Arbeiten an der Außenfassade benötigten Gerüste wurde, nachdem es zunächst genehmigt worden war, vom Ordnungsamt ohne Angabe von Gründen polizeilich verboten. Obwohl die Arbeit für uns dadurch wesentlich schwieriger und gefährlicher wurde, weil wir in den oberen zwei Etagen nur aus den Fenstern heraus arbeiten konnten, gelang es uns dennoch, den Neuanstrich der Fassade bis zum Wintereinbruch fast fertigzustellen.

Zwischen den Fenstern sitzt das von Andre Bornhöfft gemalte Bild.

Da 3 Mitglieder unserer Wohngemeinschaft weder an den Planungen, noch an den Durchführungen dieser wichtigen Arbeiten Interesse zeigten und trotz vieler Bemühungen von uns anderen auf keiner Ebene mehr eine Verständigung und Einigung möglich war, beschlossen wir uns nach heftigsten Auseinandersetzungen zu trennen.

Erste gemeinsame Handlung danach war unser Eintritt als Wohngemeinschaft in die Bürgerinitiative „Wohnlich Wiesdorf“ durch die wir enge persönliche Kontakte mit der Wiesdorfer Bevölkerung anknüpfen konnten.

 

Da sich der Jahrestag der Besetzung nähert haben wir beschlossen, diesen Zeitpunkt zum Anlass zu nehmen, mit der Veröffentlichung dieser Dokumentationamappe, die aus

 

einer chronologischen Sammlung aller Zeitungsartikel zu unserer Hausbesetzung, sowie einer betexteten Bilderserie über die Renovierarbeiten in unserem Haus und einer Sammlung unserer schriftlichen Bemühungen, mit dem LVR, der Stadt Leverkusen, der EVL, der Polizei und Baugutachtern in Verbindung zu treten, um unsere Forderungen nach Nutzungsverträgen, sowie Strom und Wasser durchzusetzen

 

besteht und einer Jahresfeier wieder massiver an die Öffentlichkeit heranzutreten.

 

Zum guten Schluß hoffen wir das uns die Darstellung unserer in diesem einen Jahr gesammelten Erfahrungen anschaulich und übersichtlich gelungen ist.

 

Die Wohngemeinschaft Niederfeldstrasse 8

Folgenden Brief schrieb die Wohngemeinschaft an die Presse:

Korrigiert wurde damals noch mit Tipp-Ex.

Das schrieb der Leverkusener Stadt-Anzeiger:

Der Stadt-Anzeiger machte aus dem April den Wonnemonat Mai...

Doch dann hatte es auch der Leverkusener Stadt-Anzeiger kapiert und besuchte uns am 29, April 1982 im Haus. Der Redakteur machte diesen Artikel aus seinem Besuch. Ganz großes Kino .es ging "Hinter den Kulissen Niederfeldstraße 8". Erschienen am 30. April 1982:

So weit, so wohlwollend. Doch dann formierte sich die Hasspresse und meinte: "Besetzer haben kein Recht auf Energie". Der Verfasser des folgenden Artikels , Ulrich Schütz, sollte sich heute noch schämen für diesen Text, der am 22. Mai 1982 in der Leverkusener Rundschau erschienen ist. Aber der Text beschreibt die Stimmung, die damals in Leverkusen vorherrschte. Wenn die N8 schon wieder an Strom und Wasser angeschlossen werden muss, dann sollen dort bitte schön Menschen wohnen und keine Besetzer. Sind Besetzer keine Menschen?

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