jetzt wird gefeiert...

Was war das für eine komplizierte Ausgangslage. Wir von der WG hatten auf dem Gelände hinter dem Haus massenhaft Gift gefunden. Einfach so, beim Pflanzen eines Bäumchens sind wir auf rote, orange, gelbe und weiße Klumpen gestoßen. Seht selbst im folgenden Video, wie Siggi und ich im Dezember 1990 in der bunten Erde rumgraben. Carla steht ganz unbekümmert daneben...

Siggi und ich ahnten, dass wir mit diesem Zufallsfund von der Altlast Dhünnaue umzingelt waren. Nun war die Dhünnaue nicht mehr nur abstrakte Gefahr, irgendwo in Richtung Autobahn sondern ganz real im Garten. Das ist schon ein anderes Gefühl. Siggi hat sich dann mit den bunten Brocken im Glas zum Büro Altlast Dhünnaue (so etwas gab es damals in dieser Stadt) aufgemacht, um das Zeug chemisch untersuchen zu lassen.

Hier ein Zitat aus dem entsprechenden Aktenvermerk über diesen Fund bei der Stadt:

 

"Aktenvermerk über das Flurstück 422 im Flur 9

 

Am 17.12. 90 erläuerterte Herr Michalski, wohnhaft Niederfeldstr. 8 im Büro Altlast Dhünnaue folgenden Sachverhalt: Am 16.12.90 wollte er auf der Wiese hinter den Häusern der Niederfeldstraße 8-12 einige Tannenbäume einpflanzen. Beim Ausheben eines Pflanzlochs fielen ihm farbige Auffälligkeiten im Erdreich auf, die ihn sofort an Bilder aus dem Bereich Dhünnaue-Mitte erinnerten. Er sammelte daraufhin 3 gelbverfärbte Krümel und einen lehmigen Brocken mit farbigen Einsprengseln heraus und übergab diese dem Büro Altlast Dhünnaue.

 

In Augenscheinnahme der Proben und aufgrund der Fundortbeschreibung vereinbarte ich einen Ortstermin mit Herrn Michalski für den 19.12.90. Wir gruben 5 Stellen bis zu einer max. Tiefe vona ca. 60 cm auf, wobei wir in drei Fällen Auffälligkeiten antrafen.

 

In Abstimmung mit Herrn Buchmann unterrichtete ich am 03.01.91 Herrn Beig. Bruchhausen über diesen Vorgang. Ich teilte ihm mit, daß aus meiner Sicht diese Vorkommnisse weiter verfolgt werden sollten. Zum einen aus fachlicher Sicht, da die vor-Ort-Besichtigung einen Verdacht bestätigt hat, zum anderen, da es sich bei Herrn Michalski um einen Bewohner der Niederfelstraße 8 handelte. Herr Bruchhausen nimmt diese Information sehr ernst, insbesondere im Hinblick auf die naheliegende Bürgerbeteiligung."

 

So, so, die naheliegende Bürgerbeteiligung ist also offenbar wichtiger als der Gesundheitsschutz der Menschen aus der N8. Und in der Tat, ein solches schräges Verständnis hat die Stadt Leverkusen wirklich. Ein weiteres Zitat aus offiziellen Schreiben der Stadt Leverkusen damals zu diesem Thema:

 

"4. Information Dritter

 

Da die Vorkommnisse von Bürgern aufgedeckt waren, war mit weiterem Interesse über die Ergebnisse zu rechnen. Erstmalig wurde von den Betroffenen Mitte Januar 91 nachgefragt. Nachdem die Mitteilung an die Bayer Ag erfolgt war, wie auch die weitere Vorgehensweise abgesprochen war, wurde den Bewohneern der Niederfeldstraße 8 von der Stadt als Vorabinformation mitgeteilt, daß positive Befunde vorlägen, die geforderte offizielle Mitteilung der Ergebnisse jedoch erst nach einer eingehenden Auswertung erfolgten könnte.

 

Aufgrund wiederholten Nachfragens wurde den Bewohnern des Hauses Niederfeldstraße 8 eine Mitteilung der Ergebnisse für den 14.03.91 angekündigt. Zu diesem Zeitpunkt konnte davon ausgegangen werden, daß eine Behandlung der Altlastensituation im Zusammenhang mit dem Bebauungsplan durch die zuständigen politischen Gremien am 13.03.91 erfolgt. Nach Klärung, daß die Bayer AG als Eigentümerin keine Einwände erhebt, wurden unter Wahrung des Datenschutzes den Bewohnern die Ergebnisse der von ihnen überbrachten Proben mitgeteilt."

Wir allerdings waren des Wartens müde und haben den Fall öffentlich gemacht. Und haben damit, ohne es zu ahnen, eine mittelschwere Lawine losgetreten. Die Ereignisse begannen eine ungeheure Dramatik einzunehmen. Gleichzeitig erschien am 6. März 1991 der unten stehende Artikel zu unseren hübschen bunten Funden hinterm Haus und die Riesenüberraschung, dass es plötzlich auch noch eine Dhünnaue-Süd gab. Und die lag genau vor unserer Haustüre...

Große Aufregung: Jetzt war die Altlast Dhünnaue auch hinter dem Haus angekommen. Statt Hilfe machte die Stadt das Gelände dicht. Das war blöd für uns: Weil wir seitens der WG gerade in den letzten Zügen der Planung der 10-Jahres-Feier der Hausbesetzung waren. Und die sollte genau dort sein: Auf der Wiese hinter dem Haus.

 

Damit das auch jeder kapiert, dass die Party auf Giftmüll steigt, hieß die Einladung zu dieser Party konsequent "Dump-site-dancing":

Da man sich ja in solchen Notsituationen zu helfen wissen muss, haben wir uns die kreativen Lösungen der Stadt abgeschaut. Die hatten seinerzeit auf dem Gebiet der Dhünnaue Schilder aufgestellt. Darauf war zu lesen: "Betreten außerhalb befestigter Wege verboten. Der Oberbürgermeister"

 

Das hat uns gefallen. Es war schlicht, einfach und dumm , weil es niemanden der Bewohner der Dhünnaue von der Giftbelastung im Boden in Kenntnis setzte. Aber es wirkte ja dort. Die Leute latschten nicht mehr auf die vergifteten Wiesen. Wenn doch, mussten sie 200 Mark Strafe als Ordnungswiedrigkeit in die Stadtkasse einzahlen. Ganz im Ernst. Diese Bußgelder hatten damals sogar eine eigene Planstelle im Haushalt der Stadt. Das ganze Theater wurde damals sogar von sogenannten Flurwächtern überwacht. Diese Flurwächter waren Arbeitslose, die die Stadt für diese wichtige Aufgabe kurzfristig eingestellt hatte. Natürlich befristet.

 

Damit ihr einen guten Eindruck davo0n bekommt, wie diese Informationsschilder aussahen, hier ein Bild:

Wir fanden jedenfalls diesen Umgang der Obrigkeit herrlich und haben ihn einfach kopiert. Manchmal genügt eine Kopie des Originals, um dessen Dämlichkeit zu beweisen. Deshalb haben wir einige dieser Schilder mit dem lustigen Verbot von der Dhünnaue - nun ja, entliehen - und haben sie um unser Festgelände aufgestellt.

 

Damit waren wir, sicherungstechnisch, auf dem Niveau der Stadt. Das war uns natürlich viel zu wenig. Deshalb haben wir auch noch eine wirkungsvolle Kontaktsperre errichtet. Wir haben Teppich gelegt.

 

Damit auch niemand seinen Fuß auf kontaminiertes Gelände setzt, haben wir den kompletten zusätzlich auch noch mit Flatterband gesicherten Bereich mit Teppich ausgelegt. Um kraftvoll und wirkungsvoll den Kontakt Boden-Mensch zu unterbinden.

 

Die folgenden Bilder zeigen den Aufbau hinter dem Haus für das große Fest unter höchsten Sicherungsvorkehrungen:

Nachdem ihr jetzt gesehen habt, wie wir wirkunsvoll den Kontakt Boden-Mensch unterbunden haben, könnt ihr jetzt die Bilder vom Fest selbst genießen. Seid versichert: Niemand ist zu Schaden gekommen durch Gifte, allerhöchstens durch die freiwillige orale Einnahme von Alkohol. Denn der floss in rauen Mengen:

Und wir haben dann eine Riesenfete auf die Beine gestellt mit einer Tombola nach amerikanischer Art. Jeder schmeißt eine Mark (war damals noch Leitwährung hierzulande) und am Ende der Laufzeit bekommt der letzte Markeinschmeißer das zu versteigernde Teil. Das war überwiegend Müll. Es gab aber auch eine Tombola mit Preisen der ganz besonderen Art. Ein kleines Videoschnipsel hat die Zeit überlebt. Dort wird das erste und letzte Estherphon öffentlich präsentiert. Und danach gibt es das längste Omm der N8-Geschichte, als Heinz die Collage mit dem Titel "Transzendentale Menstruation" überreicht bekommt.

Natürlich wurde unsere schöne Feier auf dem so professionell abgedeckten Boden von unseren vielen Freunden in der Stadt akribisch beeugt. Das belegt der folgende Leserbrief einer der vielen Blockwarte:

Das war dann meine Antwort im Leserbrief-Ping-Pong...

Natürlich galt es auch, politisches Kapital daraus zu schlagen, dass die Schilder von der Dhünnaue verschwunden waren. Wir haben dann Pappschilder in fünf Sprachen hergestellt und beim Büro Altlast Dhünnaue vorbeigebracht. Die haben Bauklötze gestaunt...

Ich habe damals auch einen Leserbrief veröffentlicht, der die horrende Dimension der Giftbelastung auf der Wiese hinter dem Haus thematisiert hat. 45 Gramm Chrom pro Kilogramm Boden hat "Lagerqualität", man kann es wirtschaftlich erfolgreich abbauen. Das hat der Leiter des Büros Altlast Dhünnaue, Winfried Buchmann so gesagt. Und das hinter der N8, nicht irgendwo in Afrika:

Wie das Leben so spielt, kroch das Geschwür der Altlast Dhünnaue unaufhaltsam weiter in Richtung N8. Ich hatte Ende Januar 1992 im Garten der N8, also nicht auf dem Bayer-Gelände, welches wir immer genutzt hatten, sondern direkt am Haus, weiße Klumpen entdeckt und ins Büro Altlast Dhünnaue gebracht...

Wie es so oft ist mit der Gleichzeitigkeit von Ereignissen: Ich hatte Ende des Jahres 1991 beantragt, dass auch die Menschen, die in unmittelbarer Nähe zur Altlast Dhünnaue leben, auf gesundheitliche Gefahren untersucht werden. Anfang Februar 1992 sollte dieser Antrag im Beschwerdeausschuß verhandelt werden. Die Stadt hatte die Begründung für ihre Ablehnung schon fertig: "Gefährdung der Bewohner durch den Kontakt mit dem Erdreich" seien ausgeschlossen. Dumm nur, dass ich dann Ende Januar 1992 mit den weißen Brocken beim Büro Altlast Dhünnaue aufgetaucht bin. Jetzt war für die Stadt klar: "Unverzügliches Handeln" ist angezeigt:

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