Verkaufs-Stress...

Ziemlich genau 31 Jahre nach der Hausbesetzung, Ende April 2012, teilte Hausbesitzer Rainer Welte der verdutzten Wohngemeinschaft mit, dass er die N8 auf dem freien Immobilienmarkt verkaufen möchte. Er nannte als Datum den 1. Februar 2013. Solange war nun also Zeit, die N8 vor dem Immobilienmarkt zu retten. Denn soviel war sicher: Für das alternative Wohnprojekt N8 wäre dieser Verkauf der Todesstoß.

 

Auf der Veranstaltung zum 1. Mai 2012 im Kulturausbesserungswerk machte die WG diesen Vorgang öffentlich, Mitte Mai gab es ein erstes Unterstützertreffen in der Küche der N8. Ideen schwirrten durch den Raum: Freiburger Mietshäuser-Syndikat, Genossenschaft, Verein, Solidaritätskonzert und und und.

 

Der Sommer zog sich hin. Aus der N8 kamen beunruhigende Botschaften. Keiner hatte Zeit, sich um das Projekt N8 zu kümmern. Studium geht vor.

 

Zum letzten September-Wochenende 2012 platzierte Natalia Sakkatou dann einen ganzseitigen Artikel über die N8 und den anstehenden Verkauf im Leverkusener Stadt-Anzeiger. Here it ist:

 

 

Interview auf der Eingangstreppe: Daniel, Irina und Melissa. Foto:Ralf Krieger

Die Alternative lebt – noch

Erstellt 28.09.2012

 

Die Geschichte des Hauses Niederfeldstraße 8 in Wiesdorf ist eine spannende. Einst war das Haus besetzt, heute bietet es jungen Menschen im Rahmen eines Projekts bezahlbaren Wohnraum.  Von Natalia Sakkatou

 

Wiesdorf

Hausbesetzung – das lässt an Hamburgs Hafenstraße denken oder an Berlin-Kreuzberg. Aber auch Leverkusen kann mit einem Rudiment aus Hausbesetzer-Zeiten aufwarten: 1981 wurde in Wiesdorf auf der Niederfeldstrasse ein Haus besetzt. Dieses Haus, seither bekannt als „N 8“, ist nicht nur Wohnraum. Es war immer mehr als nur ein temporärer Gedanke. Die „N 8“ war ein Wohn- und Lebensprojekt, das sich erstaunlicher Weise bis heute gehalten hat. Unbemerkt von der breiten Öffentlichkeit, lebte und lebt es sein alternatives Dasein. Seit 31 Jahren bietet die Niederfeldstrasse 8 Lebensraum für vorwiegend junge Leute mit geringen finanziellen Möglichkeiten: Es sind Schüler, Studenten, Auszubildende, Leute mit und ohne Arbeit, Menschen, die sich in einer Orientierungsphase befinden. Bezahlbaren Wohnraum zu ermöglichen: Das war und ist ein wesentlicher Aspekt des ganzen Projekts. Und im Gegensatz zu vielen anderen Experimenten dieser Art, von denen keine Spuren mehr existieren, besteht die N 8 bis heute. Sie ist vor allem denjenigen ein Heim, die sonst auf dem freien Wohnungsmarkt sehr lange suchen müssten, um angemessene und für sie bezahlbare Objekte zu finden.

Zur Zeit wohnen in dem Haus auf der Niederfeldstrasse 8 sieben Menschen zwischen Anfang zwanzig und Ende dreißig. Steffi stammt aus dem Ruhrpott, hat aber auch eine Zeit im alternativen Hamburger Schanzenviertel gelebt. Sie hat es aus beruflichen Gründen hierher verschlagen. Die gelernte Bauzeichnerin macht an der Fachhochschule Köln einen Studiengang zur Restauratorin. Sie wusste vor ihrem Einzug nichts über die Geschichte der N 8. Auf die Frage danach, was denn das Haus und das Leben mit sechs Mitbewohnern für sie bedeute, antwortet sie: „Hier im Haus gibt es ein graffitimäßiges Bild von 1993, auf dem steht: »Danke N 8 fürs Leben lernen.« Nach meinen bisherigen Erfahrungen drückt das am besten aus, was die N 8 ist.“ Lernen fürs Leben und Lernen zu leben. Viele Menschen haben die N8 seit 1981 bewohnt, haben gelernt, gemeinsam zu arbeiten, zu diskutieren, debattieren, Dinge zu verwirklichen. Eines trainiert das Leben in dem Haus ganz besonders: Toleranz, die Fähigkeit, jeden so zu nehmen, wie er ist. Altersunterschiede und sozialer Hintergrund verlieren in diesem Kontext an Bedeutung.

Irina, die gerade an ihrer Diplomarbeit für Psychologie sitzt, pflichtet Steffi bei: „Ich war anfangs sehr schüchtern. In dem Jahr hier habe ich gelernt, meine Meinung zu vertreten. Bei jedem kann man sich was abgucken. Auch unternimmt man plötzlich Dinge, die man früher nicht unternommen hätte, führt interessante Diskussionen, die man so nicht geführt hätte.“Und Daniel, der gerade eine Lehre zum Fachinformatiker absolviert, meint, dass sich das Miteinander im Haus auch auf ganz alltägliche Dinge niederschlage: „Man lernt auch ganz praktische Dinge. Ich wusste, wie man putzt, aber nicht effektiv.“ Melissa, die Schauspielerin ist, und durch Kellnern ihren Lebensunterhalt sichert, betont: „Für mich war das damals ein großes Lernfeld. Hier bekommst du ’ne Menge soziale Kompetenz. Bei so vielen Leuten geht man unter, wenn man sich nicht einbringt. Du lernst dadurch Dinge, die dir auch im Beruf helfen.“


Gerade jetzt sind neue Ideen rund ums Haus entstanden. Garten anlegen, Unterstand für Fahrräder bauen, Treppenhaus renovieren. Da aber flatterte die Nachricht ins Haus, dass dieses demnächst verkauft werden soll. Und plötzlich denken Irina, Steffi, Fabian, Victor, Melissa, Daniel und Steffen darüber nach, was ihnen dieses Haus und das Leben hier bedeuten und auch an seine Geschichte. Und es kommt ihnen vor, als müssten sie zumindest den Versuch unternehmen, das Haus zu retten. Sie hängen umgehend ein Transparent aus dem Fenster und verfassen ein Flugblatt: „Allein machen sie uns ein. 31 Jahre Niederfeldstrasse 8, das darf nicht das Ende sein!“ Sie haben sich kundig gemacht, welche Möglichkeiten bestehen, das Haus als das, was es ist, zu erhalten. Fabian, Programmierer von Beruf, meint, dass ihm diese neue Situation erst verdeutlicht habe, dass er sich nicht mehr vorstellen kann, konventionell zu wohnen. „Für mich ist klar, auch wenn sich das hier nicht weiterführen lässt: Ich will auch in Zukunft ähnlich leben.“ Der bisherige Hauseigentümer Rainer Welte möchte die Immobilie aus Altersgründen verkaufen. Aber es wäre auch in seinem Sinne, wenn es in jetziger Form erhalten werden könnte: „Wenn sie eine Möglichkeit sehen, die N 8 als Projekt weiterzuführen, dann bin ich dabei.“


Die Bewohner fühlen die Geschichte des Hauses auf ihren Schultern lasten. „Werden wir in die Annalen der N 8 eingehen als die letzte Generation, die hier gelebt hat und die es nicht geschafft hat, das Haus und für was es steht, zu retten?“, sagt Irina nachdenklich. Mittlerweile haben sie sich entschlossen, den Weg gemeinsam mit dem Mietshäusersyndikat zu gehen. Jede Hilfe und finanzielle Unterstützung ist willkommen.

 

Die Autorin des Beitrags, Natalia Sakkatou, lebte einige Zeit lang selbst in dem Hausprojekt N8. Die Wohngemeinschaft der N 8 informiert auf einer eigenen Internet-Seite über den Stand der Dinge.

Diesen Zeitungsartikel von Natalia Sakkatou schickten die Eltern von Rainer Wappler, der einst sieben Jahre in der N8 gewohnt hat, an ihren Sohn nach Berlin. Anfang Dezember 2012 klingelte bei Detlef Stoller in Bürrig das Telefon. Rainer Wappler am Apparat, der sagt: "Ich habe gehört, die N8 steht zum Verkauf. Ich will die kaufen." Er kam nach Leverkusen. Zusammen mit Detlef Stoller, dem die WG vertraute, besuchte er die N8 und stellte sich vor. Das war am Freitag, den 14. Dezember 2012.

 

Zufällig war das auch der Tag, an dem die Wohngemeinschaft im KAW ein Solidaritätskonzert für die N8 veranstaltete. Drei Bands hatten ihren großen Auftritt. Die WG organisierte eine Info-Ausstellung über die N8. Detlef Stoller und Rainer Wappler waren dort. Auch zu diesem Soli-Konzert hat Natalia Sakkatou einen schönen Artikel für den Leverkusener Stadt-Anzeiger geschrieben, der am 18. Dezember 2012 veröffentlicht wurde. Here it is:

Nun hätte ja alles gut werden können. Es gab einen interessierten Käufer, Rainer Wappler, der die WG erhalten wolllte. Aber in der Realität geht so etwas eben nicht gut.

 

Zeitig im Jahr 2013, am Donnerstag, den 3. Januar ist großes Treffen in der WG-Küche der N8 angesagt. Anwesend: Alle Bewohner, Rainer Welte, Detlef Stoller und per Sype zugeschaltet aus Berlin: Rainer Wappler, der interessierte Käufer.

 

Es wird viel geredet über Renovierungsstau, dem Zustand des Daches - und über Geld. Dann kommt der Moment: Rainer Wappler sagt: Ok, machen wir Nägel mit Köpfen bei 140.000 Euro."

Rainer Welte antwortet: "OK, 140.000 Euro. Bevor wir aber zum Notar gehen, möchte ich meinen Immobilienmakler hier durchgehen lassen. Vielleicht hat der ja in seiner Kartei einen, auf den dieses Haus optimal passt und der mir mehr Geld bezahlt. Ich brauche eine Woche."

 

"Gut", sagt Rainer Welte aus dem Laptop, "dann möchte ich einen Bauingenieur oder so hier durchgehen lassen, damit ich weiß, wass nach dem Kauf auf mich zukommt."

 

Wenige Tage später, am Mittwochmorgen des 9. Januar 2013 geht Detlef Stoller als Stellvertreter für Rainer Wappler mit einem Bauingenieur durch die N8. Der guckt sich alles an, von der Therme im Keller über die Kupferrohre, die Fenster bis zum Dach. Seine Einschätzung: 120.000 Euro. Er sagt auch, dass er dieses Haus nicht kaufen würde, wegen der enormen Risiken, die darin stecken. In einem Telefonat mit Rainer Wappler am gleichen Tag korrigiert sich dieser Gutachter noch einmal nach unten: Eher 100.000 Euro, sagt er.

 

Am Nachmittag geht der Immobilienmakler von Rainer Welte durch die N8. Es folgt der Hammer: Er behauptet, dass er dieses Haus für 250.000 Euro verkauft bekommt.

 

Große Niedergeschlagenheit in der WG. Die Stimmung ist am Gefrierpunkt. Das ist das AUS!

 

Im April 2013 ist es dann soweit: Das Maklerbüro Engels & Völkers stellt die N8 auf www.immobilienscout.de für 240.000 Euro zum Verkauf. Irritierend ist die knappe Anzeige durch den Vermerk: "Objekt kann geräumt übergeben werden" Auch die Anzahl der Zimmer irritiert, es wird mit vier Zimmern beworben, in echt sind es aber acht Zimmer.

 

Verschiedene Interessenten schauen sich die N8 an. Doch niemand schlägt bei diesem sensationellen hammergünstigpreis zu.

 

Detlef Stoller macht den Test und ruft den Makler als Interessent an. Der gibt ihm sehr marktunüblich Auskunft über einen riesigen Sanierungsstau im Haus, dass fraglich erscheint, ob er die N8 überhaupt verkaufen will. Er erzählt sogar, dass die N8 einst eine Hausbesetzung war. Nicht gerade verkaufsfördernd. Der Verdacht schleicht sich ein, dass der feine Herr von Engels & Völkers nie mehr seinen Fuß in dieses Haus setzen möchte.

 

Nach drei Wochen ist der Spuk vorbei. Engels & Völker löscht die Anzeige bei immobilienscout. de.

 

Pfingsten kommt wieder Fahrt in die Geschichte: Rainer Welte kommt mit Ehefrau Traudel am Samstag, den 18. Mai 2013 ins Haus. Die WG bittet Detlef Stoller als Vermittler dazu, weil die Kommunikation zwischen der WG und Rainer Welte doch arg gestört ist. Es wird über einen Aufhebungsvertrag diskutiert. Traudel und Rainer Welte machen deutlich, dass es aus ihrer Sicht keine Alternative zum Verkauf der N8 gibt. Und diesen Verkauf gibt es nur mit einem Aufhebungsvertrag. Eines haben die Verkaufsbemühungen gezeigt: Verkauft werden kann die N8 nur ohne die in ihr lebenden Menschen. Es gibt keine Bank, die eine derart unsichere Situation finanziert. Sieben Menschen leben im Prinzip ohne Mietvertrag in der N8. Rechtlich sind das sieben einzeln zu betrachtende Situationen.

 

Am Ende der sehr emotionalen Diskussion stimmt die WG zu, einen Aufhebungsvertrag zu unterschreiben und zum 31. Dezember 2013 die N8 freizuziehen. Es geht nur noch um die Modalitäten. Aufhebung der Gesamtschuldnerverpflichtung ab Herbst, Abfindung für die Bewohner, solche Sachen. Die N8 scheint endgültig Geschichte.

 

Doch wieder kommt es anders: Als am Dienstag nach Pfingsten der Aufhebungsvertrag unterschrieben werden soll, stellen sich zwei Bewohner der N8 quer und unterschreiben nicht.

 

Ein paar Wochen später meldet sich Rainer Welte bei der WG und sagt: "Der Rainer aus Berlin kann das Haus für 170.000 Euro kaufen. Dann muss er aber garantieren, dass mindestens 10 Jahre eine WG dort bleiben kann."

 

Rainer Wappler aus Berlin winkt ab, er habe schon länger das Interesse verloren, sagt er. Was tun? Detlef Stoller und Ursula Eggert setzten ein schriftilches Angebot an Rainer Welte auf, welches dieser am 1. Juni 2013 auf dem Tisch hat. Hier ist der Wortlaut:

In einem Telefonat einen Tag später gibt Rainer Welte Detlef Stoller zu verstehen, dass dieses Angebot viel zu niedrig sei. Er bietet ihm  an, die N8 für 190.000 Euro zu kaufen. Detlef Stoller lehnt ab. Damit ist das Projekt N8 wohl endgültig gescheitert.

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